Was wir gewinnen, wenn wir Emotionen verstehen und zulassen
Emotionen sind die wahren Hauptdarsteller in unserem Leben. Klar, wir möchten gerne die coolen, rationalen Typen sein, die immer einen kühlen Kopf bewahren. Aber im Grunde wissen wir, dass die wirklich bedeutsamen Momente – Momente der Liebe, Trauer, Leidenschaft – mit Gefühlen zu tun haben.
Das Wort Emotion gibt uns da schon einen entscheidenden Hinweis. Es kommt nämlich vom lateinischen emovere, was so viel bedeutet wie „bewegen“. Und genau darum geht's schon seit Jahrtausenden: Gefühle bewegen uns und machen das Leben lebenswert. Mehr noch, sie helfen uns, am Leben zu bleiben. Das ist ihr evolutionärer Zweck. Sie sind ein wertvoller Seismograph für unsere Bedürfnisse, sie schützen uns und helfen uns, Grenzen zu ziehen.
Viele verdrängen Emotionen jedoch lieber, weil sie unbequem sind. In einer aufschlussreichen Studie mussten Teilnehmer einen Filmausschnitt aus Gladiator anschauen – konkret die herzzerreißende Szene, in der der Protagonist Maximus seine ermordete Familie vorfindet. Eine Gruppe durfte ihre Gefühle frei aufkommen lassen, die andere sollte sie unterdrücken. Das Ergebnis? Die Emotionsunterdrücker fühlten sich zunächst okay, doch danach ging's bergab mit ihrer Stimmung. Die Gruppe, die ihre Traurigkeit zuließ, schniefte und über die schreckliche Szene sprach, erholte sich viel schneller vom Grauen des Gesehenen. So ist das eben – früher oder später holen uns verdrängte Gefühle ein.
Wenn wir unsere Gefühle verstehen wollen, sind die zwei neuronalen Wege wichtig, über die Emotionen verarbeitet werden. Es gibt eine sogenannte „Low Road“ und eine „High Road“.
Die Low Road ist die Überholspur der Emotionen – hier löst ein Reiz blitzschnell und unbewusst eine Gefühlsreaktion aus. Wenn wir eine giftige Schlange entdecken, dann schrecken wir vor Angst zurück. Und zwar blitzschnell. Dagegen ist die High Road die gemütliche Landstraße der Emotionsverarbeitung. Hier können wir bewusst innehalten und die Situation gründlich einschätzen. Dieser Weg ist langsamer, aber wir haben mehr Kontrolle. Wie der Neurologe und Holocaust-Überlebende Viktor Frankl sagte: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegt unsere Freiheit.“ Die High Road ist der Schlüssel zum selbstbestimmten Erleben und Handeln.
Am Ende läuft es auf die einfache Erkenntnis hinaus: Alles Wichtige im Leben hat mit Emotionen zu tun. Lassen wir sie also zu! Es mag holprig sein, aber es lohnt sich, Gefühlsbereitschaft zu entwickeln. Denn nur dann können wir das Abenteuer des Lebens voll auskosten. Wie wir unsere Gefühlsbereitschaft stärken können, darum geht es jetzt.
Wut, Angst, Trauer, Scham – alles Gefühle, die wir instinktiv vermeiden möchten. In Fühl dich ganz (2023) erfährst du, warum diese Gefühle dennoch wichtig sind, wenn du das Leben nicht als Schatten deiner Selbst rumkriegen willst, sondern in vollen Zügen spüren möchtest.
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